Was tun, wenn Hunde Zähne zeigen?

Hundeschule Bilz veranstaltete internationalen Workshop mit Tiertrainer Chirag Patel im Tierrefugium Hanau

„Hast du gesehen, eben hat er Zähne gezeigt.“ Steif im Rücken läuft der mittelgroße Rüde hin und her. Schnell ist er, ein richtiger Flitzer. „Pippo“ schnüffelt im Hof herum, kommt aber sofort heran, wenn er gerufen wird. Mindestens 30 Augenpaare beobachten jede seiner Aktionen. Der zehnjährige Mischlingsrüde ist derzeit ein Sorgenkind im Tierrefugium Hanau. Er kam aus sehr schlechter Haltung zu Drane Pepaj und John David Kraft in das Tierrefugium Hanau. Dort blühte der kleine Flitzer im Hunderudel schnell auf, doch Menschen hält er sich lieber auf Abstand und zeigt auch schon mal seine Zähne, wenn sie ihm mit Geschirr, Leine oder Maulkorb zu nahekommen. Pepaj sagte, Pippo ließe sich nicht gerne anfassen. Zwar sei es gelungen, dem Hund Geschirr oder Halsband anzulegen, doch jetzt sei selbst mit Leckerlis und anderen Tricks nichts mehr zu machen. Pippo, wendig und flink auf den Beinen, lässt sich nicht einfangen.

Der „Fall Pippo“ ist wie gemacht für die Tier- und Hundetrainer, die aus Graz, aus dem französischen Lille, aus Bochum und vom Bodensee nach Hanau gekommen waren, um an einem zweitägigen Workshop der Hundeschule Bilz mit Chirag Patel

Patel ist ein international anerkannter Tiertrainer und Verhaltensexperte. Er arbeitet seit über 15 Jahren auch mit Wildtieren in Tierauffangstationen und Zoos. Gewaltfrei und so stressarm wie möglich sollen Tiere daran gewöhnt werden, mit Menschen zusammenzuarbeiten. Für das englische Fernsehen gibt er für die Sendereihe „Nightmare Pets SOS“ Haltern von Hunden, Katzen, Vögeln und anderen Haustieren Tipps für die Arbeit mit ihrem „Problem-Tier“. Chirag Patel pflegt einen leisen und respektvollen Umgang mit Tieren. Sie sollen gerne und freiwillig mit ihren Menschen zusammenarbeiten.

Während der Verhaltensexperte und Tiertrainer im Tierrefugium den frei laufenden Pippo genau beobachtete, ließ er auf Englisch die Workshopteilnehmer an seinen Überlegungen teilhaben. „Zuerst bauen wir wieder neu und langsam Vertrauen auf. Meist ist es die Not der Menschen, – das Tier soll zum Tierarzt, – die dazu führt, dass sie ihre Tiere austricksen. Damit aber setzen sie eine Spirale in Gang. Denn Hunde lernen schnell und am Ende tricksen sie besser.“, sagte Patel. Während er den Rüden mit Leckerlis spielerisch aufforderte, zu kooperieren, wurden verschiedene Maulkörbe am Zaun befestigt. Und wenn Patel durch den Zaun hindurch Leckereien gab, steckte der Rüde seinen Kopf immer wieder in einen der Maulkörbe, guckte selbstständig nach, ob er vielleicht etwas übersehen hätte, lief wieder weg, kam wieder. „Wir machen ein lustiges Spiel daraus“, kommentierte Yesim Bilz, die zugleich simultan übersetzte.

In der Theorie waren sich alle schnell über den ersten Trainingsschritt einig: Pippo solle sich an einen Maulkorb gewöhnen, damit zum Beispiel ein Besuch beim Tierarzt sicher vonstattengehen kann. In der Praxis führte es sofort zu vielen Fragen. Welcher Maulkorb sitzt am besten – und was sind die nächsten Schritte? Ein reger Austausch schloss sich an. Workshopteilnehmer, Drane Pepaj, Tierpfleger und die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Tierrefugiums brachten ihre Erfahrungen und Ideen ein.

Gerade die Workshopteilnehmer trainieren häufig mit „schwierigen“ Hunden von Privathaltern. Sie arbeiten – oft ehrenamtlich – mit Tierheimen, Tierschutzorganisationen und -verbänden zusammen. Wie Hundetrainerin Yesim Bilz, die seit einem Jahr „Gassigänger“ im Tierrefugium Hanau weiterbildet, verstehen sie sich als Multiplikatoren eines gewaltfreien Tiertrainings, das positives Verhalten der Hunde belohnt und fördert.

„Tiere auf diese Weise zu trainieren, ist noch kein Standard“, sagte Stephan Gronostay, Tierarzt für Verhaltenstherapie und -training aus Lille. Er arbeitet mit allen Hunden, meist kommen Hundehalter allerdings zu ihm, wenn die Tiere ein problematisches, oft aggressives Verhalten zeigen. Gronostay stimmt zu hundert Prozent mit den Ansätzen von Patel überein, positives Verhalten der Hunde maximal zu fördern. Er ist nach Hanau gekommen, um kreative, neue Ideen mitzunehmen, seine eigenen Ansätze zu reflektieren und sich mit Kollegen auszutauschen.

Das Gespräch mit den Menschen, mit Hundebesitzern oder Tierpflegern steht auch für Chirag Patel im Mittelpunkt der Arbeit. Die Umgebung und Ressourcen vor Ort bezieht er in seine Arbeit ein. „Natürlich habe ich immer Equipment dabei. Aber es ist genauso bedeutungsvoll, zu improvisieren. Was finde ich vor Ort, womit können die Menschen weiterarbeiten, sind wichtige Themen.“

Diskussion mit anderen Tiertrainern, Ideen entwickeln, improvisieren, die Tierhalter und ihre Ressourcen mitnehmen. Meist müssen die Tiertrainer immer kreativ „basteln“ und sich etwas einfallen lassen. Sowie Jonas Brill, Hundetrainer im Tierheim Kaiserslautern, dessen Eigenbau einer „Maulkorb-Klappe“ unter Fachleuten viel Beachtung findet. Brill nahm am zweiten Tag am Training mit „Pippo“ teil. Der Rüde präsentierte sich bereits wesentlich entspannter als am Vortag. Er machte über eine Stunde lang mit, nahm die Berührung einer jetzt am Maulkorb befestigte Leine gelassen hin. Was in diesem Moment so leicht aussah, beruhte auf der genauen Beobachtung und einem exakten Timing. Und auch darauf, seinen Plan und seine Ideen immer zu reflektieren. „Was zeigt der Hund? Bin ich noch auf dem richtigen Weg?“ Diese Fragen stellt sich auch ein erfahrener Tiertrainer wie Chirag Patel. Für „Pippo“ und seine Betreuerin sieht es so aus, als könnten sie diesen Weg weitergehen.

 

Verschiedene Workshops mit Chirag Patel wird die Hundeschule Bilz auch 2024 wieder anbieten.

Fotos und Text von Ulrike Pongratz (freie Journalistin)